Interessengemeinschaft Baaremer Baukultur e.V.
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Vortrag zur Eröffnung der Fotoausstellung
in der Geisinger Zehntscheune am 11. 7.97 von Hermann Sumser  


Sehr geehrte Gäste,

die Interessengemeinschaft Baaremer Baukultur empfängt Sie heute in einer alten Scheune mitten in der alten Stadt Geisingen.

Hier stehen sonst das Jahr über Traktoren, Maschinen zur Feldbewirtschaftung und verschiedenes anderes Gerät. Es ist im Grunde ein etwas zu groß geratener Schopf für eine Nebenerwerbslandwirtin in der Nachbarschaft. Um reinzufahren muß man umständlich die zwei schweren Torflügel von Hand öffnen,aufpassen, daß die in der Höhe geteilten Flügel nicht auseinanderklaffen, die geöffnetenFlügel mit einem Stein sichern, daß sie nicht zuklappen, wenn man gerade durchfährt. Weil das so umständlich ist, hat das hintere niedrigere Schopftor ihm in der Funktion als Einfahrt den Rang abgelaufen. Es ist neu und viel einfacher zu bedienen.

Gemessen an der genutzten Stellfläche hier unten ist da oben ein gewaltiger Luftraum unterm Dach - aber ohne praktischen Nutzen. Denn Heu oder Stroh da hinauf zu schaffen  von Hand mit der Gabel oder einem elektrischen Heuaufzug aus der Frühepoche der mechanisierten Landwirtschaft ist viel zu umständlich und zeitraubend. Überhaupt ist das Silieren viel rationeller. Die Grasflächen einer Gemarkung werden heutzutage in ein paarTagen abgegrast und ins Silo verfrachtet, kaum daß die Stengel zur Blüte gelangt sind. Aber auch das Heu wird mit dem Ladewagen und Gebläse rasant an seinen Lagerort verfrachtet. In diesem Gebilde die Rohre für das Gebläse auf- und umzurüsten ist abenteuerlich und zeitraubend. Kurz und gut: Die alte Scheune ist nun mal da und taugt allenfalls als Geräteschopf. Aber nicht einmal das ist so sicher, denn es gibt einige Stellen,wo es hereinregnet. Was ist das für ein Aufwand, an diesem Gebäude allein schon ein Gerüst zu stellen oder auch nur ein paar Ziegel zu stecken, ohne durch morsche Latten10 Meter tiefer, bzw. im Jenseits zu landen. Das passende Ziegelmaterial gibt es nicht im Baumarkt. Man muß es umständlich beschaffen. Allein diese Dachfläche zu sanieren, um den Geräteschopf dauerhaft dicht zu machen, kostet soviel wie eine neue Lagerhalle für die paar Maschinen und Gerätschaften. Das Gebäude ist für den Nutzer deshalb eine ziehmliche Last.

Draußen in der Nachbarschaft fällt vielleicht manch ein Blick aus den neuen Isolierglasfenstem auf das alte Gemäuer gegenüber und hinterläßt womöglich ein ärgerliches Gefühl. Das Gebäude will nicht so recht in die Vorstellung von einer gepflegten Nachbarschaft passen. Manch ein Anhänger des putzsüchtigen und reinlichkeitsfanatischen Deutschtums sieht hier gar einen Schandfleck in der aufstrebenden teilerneuerten Altstadt.

Ja, wenn' s schön gerichtet wäre - aber wer kann das bezahlen und für welchen Zweck: als Garage ist das Gebilde einfach zu teuer! Wie wär s mit einer öffentlichen Nutzung? Eine schöne Vorstellung, da es sich ja auch aus historischer Sicht um ein öffentliches Gebäude handelt. Allerdings, es sind genug öffentliche Räume da. Die Betriebskosten dieser Räumlichkeiten sind hoch, die kommunalen Haushalte heutzutage niedrig. Kurz und gut : wir stehen hier versammelt mitten in einem großen Gebäude und mitten in einem großen Problem.

Fronfuhren und Fronarbeiten unentgeltlich leisten, um diese Scheune zu bauen, damit die kirchliche oder weltliche Herrschaft hier die von denselben Bürgern zu entrichtenden Abgaben: den zehnten Teil vom geernteten Getreide und Feldfrüchten aller Art hier einlagern konnten. Die Geisinger Bürger mußten darüberhinaus den Sand und gebrannten Kalk herschaffen, den Mörtel aufbereiten, die Steine auf die Gerüste schleppen und den versierten Maurern handlangen. Wohlgemerkt, das alles neben der schweren Arbeit, um die täglichen Lebensmittel für den eigenen Bedarf zu erarbeiten, die nicht im Supermarkt gestapelt waren, sondern auf der Geisinger Gemarkung dem Boden abgerungen wurden: in den Feldern, Wiesen, Wäldern, Krautgärten, den Ochsen, Kühen, Schweinen, Ziegen,Schafen, Gänsen, Hühnern  in den Ställen und auf den Weiden.

All diese Arbeit ist eine Zeitlang in diese Mauern geflossen und in das kunstvolle Gefüge aus handgehauenen Baumstämmen, die hier mit sparsamem Materialeinsatz und handwerklicher Fertigkeit von den Zimmerleuten angebunden und aufgeschlagen wurden, um auf dem knappen städtischen Boden innerhalb der Stadtmauem einen möglichst großen Bergeraum zu schaffen. Holz, das langsam in lichten Wäldern gewachsen ist, nicht in Fichtenplantagen unter dem Streß, aus dem Stangengewimmel und Nadelgestrüpp ans Licht zu gelangen. Holz, das im Winter geschlagen wurde, bei abnehmendem Mond - nicht wenn es im vollen Saft steht, um nach dem Schlagen zusammenzuschrumpfen. Holz, das mit Pferden aus dem Wald geschleppt und abgelagert wurde, dann im nächsten Jahr mit dem Breitbeil und der Axt entlang der Faser zu Balken gehauen wurde. Holz, das unter einem intakten Dach Jahrhunderte schadlos übersteht und beliebig "recycle"-bar ist, weil es nicht von der chemischen Industrie haltbar gemacht wurde.

Betrachten wir die Ziegel auf dem Dach, die Jahrhunderte auf dem Buckel haben unter denWitterungsbedingungen der rauhen Baar. Jeder Ziegel ein Individuum in Farbe und Form von hell bis dunkelrot, durch Flechtenbesatz gelb oder grün schattiert. Welches Industrieprodukt kann es an Schönheit und Haltbarkeit mit diesen Baustoffen aufnehmen? Material, das mit Würde altert und nicht vergammelt. Material, das diese Gebäude wie ein Teil der Natur und der Landschaft, in der sie stehen, erscheinen läßt. Material, das durch die Art, wie es zusammengefügt wurde, die Kunstfertigkeit unserer Vorfahren dokumentiert.

Betrachten wir das alte Scheunentor! Ein Bogen aus behauenen Steinen säumt die in der Symmetrieachse des Giebels ausgesparte Öffnung. Vereint mit den dahinter in gesprengtem Bogen vermauerten Backsteinen überträgt er die darüber wirkenden Lasten in die Flankender Toröffnung. Der empfindliche Rand der Öffnung ist durch die präzise gearbeitetenFormsteine und die vorgestellten Waagensteine geschützt. Schmiedeeiserne Kloben, in denen die schweren beweglichen Eisenbänder hängen, übertragen die Kräfte aus denTorflügeln in den Steinkranz. Die Torflügel, mittig in der Senkrechten und Waagrechten geteilt, sind aus aneinandergereihten, stehenden Dielen zusammengefügt, die von Gratleisten auf Zug, Druck und Biegung zusammengehalten werden. Auf der Wetterseite ist die Konstruktion mit diagonal verlaufenden Brettern aufgedoppelt. Die Ränder sind kunstvoll profiliert und verstärken die Wirkung der Diagonalen. Ein umlaufender Rahmen fasst die Bretter jedes Flügels ein und schützt das empfindliche Stimholz. So ist dieses Tor wie viele andere Exemplare ein Beispiel wie Form, Funktion und Konstruktion auf einfacheWeise kombiniert sind.

Sie widerlegen das Geschwätz unserer Zeit, daß Schönheit einerseits ,  Zweckdienlichkeit und Wirtschaftlichkeit andererseits, Gegensätze sind.

Wir können von diesen historischen Konstruktionen lernen wie Sparsamkeit, Klarhei,Qualität des Materials und der Konstruktion architektonische Wirkung erzeugen. Im Grunde ist dieses ganze Gebäude ein klassisches Beispiel für qualitätvolle Architektur mit sparsamen Mitteln.

Es wäre eigentlich ein kulturelles Verbrechen, solche Gebäude wie diese Zehntscheune zu beseitigen. Neben den wenigen Urkunden, die vielerorts in den Archiven verstauben, neben wenigen Bildern, Bildstöcken, Werkzeugen und Geräten, die im günstigsten Fall noch in einem Heimatmuseum ausgestellt sind, sind die historischen Gebäude die wichtigsten Zeugen der Ortsgeschichte. Nicht nur die in der Denkmalliste erfassten Gebäude, sondern auch die einfachen Bürgerhäuser, Bauernhäuser, Taglöhnerhäuser, Wirtshäuser, Scheunen und Speicher. Sie überliefern anschaulich örtliche Sozial­ und Kulturgeschichte. Sie berichten von den Zusammenhängen und Gegensätzen zwischen Landwirtschaft, Handwerk und Handel, zwischen Untertanen und Obrigkeit, vom unterschiedlichen Entwicklungsstand des Bauhandwerks, von den Einwirkungen kultureller Strömungen in den Gestaltungsformen des örtlichen Handwerks, von den unterschiedlichen Interpretationen und schöpferischen Fähigkeiten einzelner Handwerker. Man muß nur lesen lernen in diesen Bilderbüchem: in den Fassaden, Straßenbildern, Straßenverläufen, Grundstücksparzellen, Stadtmauerresten usw.

Vielerorts, insbesondere gegenwärtig in den Baaremer Dörfern scheint es so, als ob diese Bilderbücher der Ortsgeschichte getrost verbrannt werden können, wenn die Ortschronik einmal geschrieben ist. Das ist ungefähr so, als ob man die Kunstwerke verbrennt, nachdem man sie in Katalogen abgebildet hat.

Der dramatische Strukturwandel in der Landwirtschaft hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten in einen dramatischen Strukturwandel der baulichen Substanz der Dörfer und der kleinen Städte der Baar niedergeschlagen. Die Dörfer verlieren ihr besonderes, historisch gewachsenes Gepräge. Manche Dörfer auf der Baar nähern sich in ihrem Erscheinungsbild den Bundesrepublikanischen Einheitsdörfern mit alpenländischem Colorit, wie sie sich überall ins Land fressen. Auch die landwirtschaftlich strukturierten Bereiche der Baarstädte unterliegen dieser Gefahr. Alte traditionelle Gastwirtschaften mit glorioser Vergangenheit fristen oft nur noch als Pizzeria ihr Dasein, wenn sie nicht schon beseitigt sind.

Blickt man über den Tellerrand unserer Landesgrenzen, z. B. in die nahe Schweiz, die eng verwandt ist mit unserem Kulturraum, stellt man dort staunend einen sorgsameren Umgang mit der geschichtlichen Bausubstanz fest. Ist es nicht seltsam, daß ausgerechnet in Deutschland, das durch den 2. Weltkrieg die größten Verluste an historischen Baustrukturen zu ertragen hatte, eine solche Gleichgültigkeit gegenüber den alten Stadt- und Dorfbildern praktiziert wird? Ist es, weil das Verhältnis der Deutschen zu ihrer eigenen Geschichte gestört ist?

Es ist jedenfalls in vielen Fällen nicht eine Frage des Geldes. Auf den Dörfern ist zu beobachten, daß Bauernfamilien, sei es, weil sie die Landwirtschaft aufgegeben haben oder durch Erbschaft über ein weiteres Bauernhaus oder Taglöhnerhaus verfügen, dieses als künftiges Baugrundstück auf Vorrat halten, um es eines Tages abzubrechen und ein übliches Einfamilien­Wohnhaus auf dem Gelände hochzuziehen. Ökonomieteile der Bauernhäuser werden oft gnadenlos abgerissen und ein Neubau in abenteuerlicher Weise mit dem alten Wohnteil kombiniert. So entstehen jene unseligen Zwittergebilde, die mehr und mehr die Ortschaften prägen. In den Städten wird oft vorhandene Bausubstanz abgerissen und durch Neubausubstanz mit altstädtischem Gepräge ersetzt.

Es gibt natürlich auch unsinnige Beispiele für Sanierungen. Man kann z. B. solch eine Zehntscheune nicht als Ganzes sanieren, um sie als Lagerhalle für einen bäuerlichen Maschinenpark zu nutzen, womit wir zu unserem Ausgangsobjekt zurückkommen. Aufwand und Ergebnis würden sich widersprechen. Es wäre auch unsinnig, dieses Haus als Mietwohnungsobjekt auszubauen mit zahlreichen Fensterlöchern. Das Haus würde damit seinen Geist und seine Gestalt aufgeben, ganz abgesehen von den zu hohen Kosten.

Der Interessengemeinschaft Baaremer Baukultur geht es darum, bei der Baaremer und in diesem Fall der Geisinger Bevölkerung das Interesse an der historischen Bausubstanz zu wecken, den Wert und die Schönheit dieser Substanz ins "rechte Licht" zu rücken. Es lohnt sich, diese Bauten zu hegen und zu pflegen und manchmal, wie im Falle dieser Zehntscheune, genügt es schon, sie nur notdürftig instandzusetzen, wenn kein dringender Bedarf und keine Mittel vorhanden sind, um späteren Generationen das historische Erbe zu bewahren. Sofern kein privater Investor in der Lage ist, sollte die Geisinger Bürgerschaft dies als ihre Gemeinschaftsaufgabe betrachten.

Wo es Mittel und Möglichkeiten gibt, möchten wir Sie ermuntern, historische Bausubstanz zu nutzen und instandzusetzen. Es gibt in dieser Stadt Geisingen Beispiele, daß es möglich ist, alte Häuser zeitgemäß zu bewohnen, daß es ein faszinierendes Erlebnis ist, alte Bausubstanz und moderne Architektur im Einklang und auch im Spannungsverhältnis zu entwickeln. Es gibt in dieser Stadt gute Beispiele für die Sanierung und Nutzung historischer Bausubstanz für öffentliche Einrichtungen. Es gibt interessante Ansätze für die Wiederentdeckung und Einbeziehung der alten Stadtmauer in das Stadtbild und das private Wohnen. Die angekündigten Aktionen an der Stadtmauer im Zusammenhang mit dem Stadtfest werden dies akzentuieren. Es lohnt sich, die Eigenheiten dieser Stadt zu pflegen, insbesondere auch deshalb, um unserer so mobilen, mobilisierten und privatisierten Femsehkonsumgesellschaft einen nicht austauschbaren Ort ­ man könnte auch sagen eine "Geisinger Heimat" ­ zu erhalten.

Ich danke Ihnen für Ihr Interesse. Die IG­Baukultur lädt Sie jetzt ein zu einer Entdeckungs- und Zeitreise in der Fotoausstellung. Für Reiseverpflegung ist gesorgt.

Hermann Sumser

Interessengemeinschaft Baaremer Baukultur e.V. in Donaueschingen  
| mailadresse: post@ig-baukultur.de