Interessengemeinschaft Baaremer Baukultur e.V.
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Auszug aus der Rede  von Architekt Hermann Sumser 
zur Eröffnung 
der Fotoausstellung 'GEISINGEN'   
in der Zehntscheune
am 11.Juli 1997 

Die Interessengemeinschaft Baaremer Baukultur empfängt Sie heute in einer alten Scheune mitten in der alten Stadt Geisingen. ....

Es wäre eigentlich ein kulturelles Verbrechen, solche Gebäude wie diese Zehntscheune zu beseitigen. Neben den wenigen Urkunden, die vielerorts in den Archiven verstauben, neben wenigen Bildern, Bildstöcken, Werkzeugen und Geräten, die im günstigsten Fall noch in einem Heimatmuseum ausgestellt sind, sind die historischen Gebäude die wichtigsten Zeugen der Ortsgeschichte. Nicht nur die in der Denkmalliste erfassten Gebäude, sondern auch die einfachen Bürgerhäuser, Bauernhäuser, Taglöhnerhäuser, Wirtshäuser, Scheunen und Speicher. Sie überliefern anschaulich örtliche Sozial­ und Kulturgeschichte. Sie berichten von den Zusammenhängen und Gegensätzen zwischen Landwirtschaft, Handwerk und Handel, zwischen Untertanen und Obrigkeit, vom unterschiedlichen Entwicklungsstand des Bauhandwerks, von den Einwirkungen kultureller Strömungen in den Gestaltungsformen des örtlichen Handwerks, von den unterschiedlichen Interpretationen und schöpferischen Fähigkeiten einzelner Handwerker. Man muß nur lesen lernen in diesen Bilderbüchem: in den Fassaden, Straßenbildern, Straßenverläufen, Grundstücksparzellen, Stadtmauerresten usw.

Vielerorts, insbesondere gegenwärtig in den Baaremer Dörfern scheint es so, als ob diese Bilderbücher der Ortsgeschichte getrost verbrannt werden können, wenn die Ortschronik einmal geschrieben ist. Das ist ungefähr so, als ob man die Kunstwerke verbrennt, nachdem man sie in Katalogen abgebildet hat.

Der dramatische Strukturwandel in der Landwirtschaft hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten in einen dramatischen Strukturwandel der baulichen Substanz der Dörfer und der kleinen Städte der Baar niedergeschlagen. Die Dörfer verlieren ihr besonderes, historisch gewachsenes Gepräge. Manche Dörfer auf der Baar nähern sich in ihrem Erscheinungsbild den Bundesrepublikanischen Einheitsdörfern mit alpenländischem Colorit, wie sie sich überall ins Land fressen. Auch die landwirtschaftlich strukturierten Bereiche der Baarstädte unterliegen dieser Gefahr. Alte traditionelle Gastwirtschaften mit glorioser Vergangenheit fristen oft nur noch als Pizzeria ihr Dasein, wenn sie nicht schon beseitigt sind.

Blickt man über den Tellerrand unserer Landesgrenzen, z. B. in die nahe Schweiz, die eng verwandt ist mit unserem Kulturraum, stellt man dort staunend einen sorgsameren Umgang mit der geschichtlichen Bausubstanz fest. Ist es nicht seltsam, daß ausgerechnet in Deutschland, das durch den 2. Weltkrieg die größten Verluste an historischen Baustrukturen zu ertragen hatte, eine solche Gleichgültigkeit gegenüber den alten Stadt- und Dorfbildern praktiziert wird? Ist es, weil das Verhältnis der Deutschen zu ihrer eigenen Geschichte gestört ist?

Es ist jedenfalls in vielen Fällen nicht eine Frage des Geldes. Auf den Dörfern ist zu beobachten, daß Bauernfamilien, sei es, weil sie die Landwirtschaft aufgegeben haben oder durch Erbschaft über ein weiteres Bauernhaus oder Taglöhnerhaus verfügen, dieses als künftiges Baugrundstück auf Vorrat halten, um es eines Tages abzubrechen und ein übliches Einfamilien­Wohnhaus auf dem Gelände hochzuziehen. Ökonomieteile der Bauernhäuser werden oft gnadenlos abgerissen und ein Neubau in abenteuerlicher Weise mit dem alten Wohnteil kombiniert. So entstehen jene unseligen Zwittergebilde, die mehr und mehr die Ortschaften prägen. In den Städten wird oft vorhandene Bausubstanz abgerissen und durch Neubausubstanz mit altstädtischem Gepräge ersetzt.

Es gibt natürlich auch unsinnige Beispiele für Sanierungen. Man kann z. B. solch eine Zehntscheune nicht als Ganzes sanieren, um sie als Lagerhalle für einen bäuerlichen Maschinenpark zu nutzen, womit wir zu unserem Ausgangsobjekt zurückkommen. Aufwand und Ergebnis würden sich widersprechen. Es wäre auch unsinnig, dieses Haus als Mietwohnungsobjekt auszubauen mit zahlreichen Fensterlöchern. Das Haus würde damit seinen Geist und seine Gestalt aufgeben, ganz abgesehen von den zu hohen Kosten.

Der Interessengemeinschaft Baaremer Baukultur geht es darum, bei der Baaremer und in diesem Fall der Geisinger Bevölkerung das Interesse an der historischen Bausubstanz zu wecken, den Wert und die Schönheit dieser Substanz ins "rechte Licht" zu rücken. Es lohnt sich, diese Bauten zu hegen und zu pflegen und manchmal, wie im Falle dieser Zehntscheune, genügt es schon, sie nur notdürftig instandzusetzen, wenn kein dringender Bedarf und keine Mittel vorhanden sind, um späteren Generationen das historische Erbe zu bewahren. Sofern kein privater Investor in der Lage ist, sollte die Geisinger Bürgerschaft dies als ihre Gemeinschaftsaufgabe betrachten.

Wo es Mittel und Möglichkeiten gibt, möchten wir Sie ermuntern, historische Bausubstanz zu nutzen und instandzusetzen. Es gibt in dieser Stadt Geisingen Beispiele, daß es möglich ist, alte Häuser zeitgemäß zu bewohnen, daß es ein faszinierendes Erlebnis ist, alte Bausubstanz und moderne Architektur im Einklang und auch im Spannungsverhältnis zu entwickeln. Es gibt in dieser Stadt gute Beispiele für die Sanierung und Nutzung historischer Bausubstanz für öffentliche Einrichtungen. Es gibt interessante Ansätze für die Wiederentdeckung und Einbeziehung der alten Stadtmauer in das Stadtbild und das private Wohnen. Die angekündigten Aktionen an der Stadtmauer im Zusammenhang mit dem Stadtfest werden dies akzentuieren. Es lohnt sich, die Eigenheiten dieser Stadt zu pflegen, insbesondere auch deshalb, um unserer so mobilen, mobilisierten und privatisierten Femsehkonsumgesellschaft einen nicht austauschbaren Ort ­ man könnte auch sagen eine "Geisinger Heimat" ­ zu erhalten. .... 

Dokumentation des vollständigen Redetextes

Hermann Sumser

Interessengemeinschaft Baaremer Baukultur e.V. in Donaueschingen  
| mailadresse: post@ig-baukultur.de